Impulse & Inspirationen

Ein Blog von Kirstin Kluckert

PILGERN IV
Themen: Reisen
11. April 2023

PILGERN IV

Jetzt ist mir eindeutig klar, warum Mutter Theresa hier ihre Stiftung errichtet hat. Sie hätte überall sein können. Doch hier, wo die Menschen fast nichts haben, regiert das Wunder echter Begegnung. Hier, wo jedes Jahr gewaltige Stürme das Land heimsuchen, kann man sich wirklich wahrnehmen.

Und wenn man so seine Runden hier dreht, sieht man eine ganze Menge interessanter Plätze. Doch meist kann man sie nur finden, wenn man einmal hinter die Gebäude schaut. Da wird Fussball gespielt. Da werden Bücher auf dem Boden verkauft. Da werden die Samosas aus der Hand gegessen. Es ist, als gäbe es hier eine geheime Seite in dieser Stadt. Und die ist wirklich schön. Alte, knorrige Bäume spenden hier Schatten, dunkle Hauseingänge bieten Schutz vor der Hitze und es gibt jede Menge Briefkästen darin.
Wunderschöne Parkanlagen mit hübsch gestutzten Hecken und es blüht und grünt überall.

Es ist schwierig hier Geld zu bekommen, noch schwieriger welches zu tauschen. Man muss in merkwürdige kleine Läden und eine Menge Zettelchen unterschreiben. Anschliessend wird gerechnet und abgeschätz, während man draussen eine Limo bekommt. Und es wird immer schwüler.

Nachdem man ein Bündel Geldscheine bekommen hat, wird es auf einmal unangenehm schwer zu atmen. Die Leute tauschen vielsagende Blicke aus. Sie reden von Flughafensperrung und Evakuierung. Ich habe überhaupt keinen blassen Schimmer, was hier los ist. Doch alle hier sind daran gewöhnt.

Innerhalb der nächsten 24 Stunden werden die Bürgersteige hochgeklappt, wie es heisst. Und anschliessend verkriecht man sich. Oder aber man nimmt den nächstbesten Inlandsflug und besucht Verwandte. Das ist schon ok.

Allerdings möchte das so ziemlich jeder Zweite oder Dritte hier und hopplahopp ist der Flughafen dicht. Alle sitzt in der Wartehalle. Der Himmel zieht sich mehr und mehr zu. Und es beginnt zu regnen. Die Vögel, die auf dem Flugafengelände leben, finden Wege auch in die Halle zu kommen. Sie fliegen kreischend an den hohen Fensterscheiben entlang.

Ich habe längst schon einen Flug gebucht. Das Ticket in der Hand. Und verlasse Kolkata mit dem vorletzten Flug. Danach wird der Flughafen tatsächlich dicht gemacht. Der Mega-Taifun kommt, heisst es. Er soll mit unglaublicher Geschwindigkeit auf das Land zurasen, vom Meer aus. Und so werden auch die Ufer hochgeklappt.

Wer jetzt nicht weiss, wo er unterkommt...

Und ich denke an die Kinder und die Slums. An die ganze Pappe unter der sie wohnen. Ich denke an die brennenden Müllberge und die vielen Menschen, die darauf arbeiten. Was passiert, wenn noch Wasser darauf regnet.

Am nächsten Tag steht in den Zeitungen, dass der Sturm wie von Wunderhand beruhigt wurde, also die Geschwindigkeit um ein Vielfaches verringert wurde. Es gäbe keine Toten zu beklagen. Nur herabgestürzte Bäume und Dächer. Ich bin sehr erleichtert. Und danke den vielen Göttern.