Kyoto ist zärtlich. Eine sanftere, wärmere Stadt als Tokyo. Eine Stadt mit mehr Lächeln, mehr Eigensinn, mehr Individualität. Eine Stadt mit hunderten von Tempeln und Schreinen. Eine verwunschene Stadt. Eine Stadt mit Küche. Eine Stadt zwischen den Bergen. Eine Stadt mit Raum und Zwischenraum. Eine Stadt mit Zen im Chaos.
Kyoto umfängt mich sommerlich. Die Nächte sind warm und das Licht verschwommen. Der erste Ausflug führt zum Higashi Hongan-ji. Weihrauchduft in einer grossen und friedlich anmutenden Tempelhalle . Namo Amida Butsu. Auch hier bin ich zu Hause. Ich werde diesen heiligen Ort mit frühlingsgrünen Farbtupfern und süssem Jasminduft in Erinnerung behalten. Kaiserlich und gleichzeitig provinziell, hochheilig in Mosaiken, unnahbar und dennoch herzlich. Diesen Ort sieht man mit geschlossenen Augen.
Durch winzige bunte Gassen hindurch, finde ich das Japan der alten Filme. Holzhäuschen, Papierlaternen, heimelige Lichter, Kimonos, die vorbei huschen. Manchmal erlauben kleine Lücken zwischen den Papierwänden einen Blick auf den Fluss, wo ausgedehnte Terrassen zum Verweilen einladen. Der Kamo fliesst leise und träge mit wenig Wasser. Es ist Frühjahr, die letzten Kirschblüten liegen schon auf den Gassen. Japans alte Stadt des Friedens kann ich leicht erkennen, mein Herz weist den Weg.
Am nächsten Tag wandle ich durch den Higashiyama-District, eine Art Park mit unzähligen heiligen Orten und malerischen Tempeln. Strenge Häusser mit zwei Etagen und Schiebetüren aus Papier aus der stolzen Edo-zeit. Bambushaine, die ebenso alt scheinen und leise klackende Geräusche machen, wenn sie aneinander stossen. Winzige Teehäuser, aus denen man herausschaut, bei schaumigen Tee und weichem Gebäck. Kwan Yin ist 26 Meter hoch und lächelt milde auf alle herab.
Zur Dämmerung wandere ich durch den Fushimi-Inari-taisha, ein Wandelgang durch unendlich viele, dicht aneinander gelehnte Torii-Gates, zum höchsten Aussichtspunkt des heiligen Hügels und wieder zurück. Vorbei an tausenden Inari-Schreinen, die von spitzbübisch aussehenden Füchsen bewacht werden. Die Inari wird um Reis und Erfolg gebeten.
Ist der Blick auf den Hügel gerichtet, leuchten die Tore in knalligem orangerot, schreitet man vom Berg hinab, zeigen die Säulen der Tore Inschriften. Geheimnisvoll verbirgt sich ihr Sinn. Dieser Gang zeigt das Leben. Mit dem Blick in die Zukunft und jugendlichem Schritt, sehen wir nicht viel. Wenn der Höhepunkt überschritten ist und wir herunter laufen, können wir Demut und Weisheit erfahren. Durch die Tore hindurch, Zeitlosigkeit, Achtsamkeit.
Ein verzauberter heiliger Hügel entlässt mich im Dunkel und strahlt in warmen Licht. Mit wehmütigem Herz und sanftem Blick zurück gehe ich zur U-Bahn.